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Presse-Information, Mai 2000 Je gigantischer die Veranstaltung, desto langwieriger ihre Planung, desto minimierter die Möglichkeit, kurzfristige Änderungen zu realisieren sollte man meinen. Dass es auch anders geht, ja, dass der Glaube zuweilen Fenster versetzen kann, bewies sich jüngst im ökumenischen Pavillon auf dem EXPO 2000-Areal: Wiederholt hatten Anhängerinnen beider Konfessionen das Fehlen der Maria als Pendant und Ergänzung zum exponierten Christus bemängelt und so die beteiligten Landeskirchen zu spontanem Handeln animiert. Flugs wurde ein Wettbewerb für die Gestaltung eines Marienfensters im Kreuzgang ausgelobt, zu dem auf Initiative der hannoverschen Landesbischöfin Margot Käßmann drei Künstlerinnen eingeladen wurden. Unter ihnen die Berlinerin Hella De Santarossa. Ihr intensives Eintauchen in die Thematik, "mit der man sich“, so die Künstlerin, "mehrere Leben lang beschäftigen kann“, brachte fünf Entwürfe hervor, von denen der des "Marienmantels“ in seiner Motivwahl, die sowohl evangelische als auch katholische Elemente berücksichtigt, einerseits sowie durch den Dialog mit der streng orthogonalen Pavillon-Architektur andererseits vollends zu überzeugen wusste. Der Mantel Marias, symbolisiert durch eine mundgeblasene Scheibe aus Antik-Glas in changierendem Blau und kristallinem Licht, liegt diagonal in den vier Glaskästen, deren Raster ihn ebenso trennt wie verbindet. Er beschreibt eine dynamisch schwebende Aufwärtsbewegung inmitten von prismatischem Bruchglas, auf Folien kopierten Mariendarstellungen und Textpassagen aus dem Magnificat des Lukas-Evangeliums in zwölf Sprachen. Darüber hinaus versinnbildlicht die Künstlerin, die dafür bekannt ist, Nachdenklichkeit zu provozieren, mit ihren vier Bildquadraten neben den Jahreszeiten und Himmelsrichtungen auch die vier Elemente Feuer, Wasser, Himmel und Erde. Mit der kaleidoskopartigen Gestaltung des Hintergrundes zollt Hella De Santarossa den durch abrupt geschnittene Videoclips und Computeranimationen veränderten Sehgewohnheiten der Betrachter Tribut und lässt Maria gewissermaßen in einem Scherbenhaufen erscheinen. Mit dem "Marienmantel“ setzt die Meisterschülerin der Hochschule der Künste Berlin nach der 1998 begonnenen Gestaltung von fünf Fenstern für die Heiliggeistkirche in Heidelberg bereits zum zweiten Mal künstlerische Akzente in einem Gotteshaus. Vor einem solchen, nämlich der St. Matthäus-Kirche in Berlin, ist außerdem ihre kinetische Stahlskulptur "Zeitnadel“ zu bewundern. Ebenfalls in der Hauptstadt hat jüngst auch der 30 Meter breite und damit bislang großflächigste Bildfries der vielseitigen Impressionistin Hella De Santarossa, "Der rot-weiße Karren“, eine neue Heimat gefunden: im Reichstag, wo er im Herbst feierlich willkommen geheißen und der Öffentlichkeit vorgestellt wird. |
Maria im Scherbenlicht - Hella De Santarossas "Marienmantel" in der Christus-Kirche der Expo 2000 Von Peter Herbstreuth MARIA IN DER WELT. Museen und Kirchen bewahren die Bildnisse der Mutter Gottes und Heiligen Jungfrau Maria als hervorragende Zeugnisse der christlichen Kultur. Kein Maler von Rang konnte es sich bis ins späte 18. Jahrhundert leisten, sie zu übergehen. Alle bedeutenden Künstler Europas - Piero della Francesca, Giotto, Tizian, Leonardo, Michelangelo, Rogier van Weyden, Dürer, Raphael ... - haben ihr Bestes der Darstellung dieser Figur gegeben. Sie wollten sich würdig gegenüber Marias Bild erweisen und nicht weniger vollkommen als die bildnerischen Vorgänger erscheinen. Doch war das Thema stets größer als die Namen der Künstler. Und wer sich des Themas annahm, reflektierte nicht nur die lange Tradition der Verehrung und Faszination, sondern erneuerte sie im wandelnden Geschmack der Zeiten. Die Verehrung Marias hat daher bei Auftraggebern und Künstlern zu den herausragendsten Bauwerken, Gemälden, Skulpturen und Gedichten geführt. Im Zuge der Aufklärung wurden Darstellungen Marias in der Kunst spärlicher und bald Ausnahme. Die Kirche verlor ihre bildbestimmende Rolle als Auftraggeber für Künstler. Ihre motivprägende Kraft schwand in dem Maße wie ihre weltliche Macht eingeschränkt wurde und sie ihre schützende Funktion einbüßte. Doch ohne Allianzen mit Maria vermochten auch manche staatliche Autoritäten sich nicht zu behaupten. 1754 wurde Unsere Liebe Frau von Guadalupe zur Schutzpatronin Mexikos, 1900 zur Schutzpatronin der amerikanischen Staaten. Ihr wird seither in diesen Staaten ein arbeitsfreier Feiertag im Jahr gewidmet wie früher in Deutschland "Maria Empfängnis". Die lange und anhaltende Geschichte der Marienverehrung halten rund um die Welt die vielen Kirchen und Kathedralen im Namen von Notre Dame, Unserer Lieben Frau, Santa Maria wach. Deshalb ist es nicht erstaunlich, daß die katholische Kirche mit Hella De Santarossas "Marienmantel" ein Werk ein Auftrag gab, das an diese Kult- und Bildtradition anknüpft, die, glaubt man der Legende, bis zum Ursprung christlicher Zeitrechnung zurückreicht. Mariendarstellungen sind das älteste Bildmotiv der christlichen Kultur. Die erste nachweisbare Darstellung findet sich in der Priscillakatakombe in Rom; sie stammt aus dem 2. Jahrhundert. In dieser Katakombe hatten sich die frühen Christen versammelt und vor den Römern, die alle Christen verfolgten, Schutz gesucht. MARIA IM CHRISTUS-PAVILLON. Die katholische und evangelische Kirche manifestieren auf der Expo 2000, dem "Marktplatz der Welt", gemeinsam ihre Zugehörigkeit und ihr Selbstverständnis im Christus-Pavillon. Der quadratische Sakralbau wird von einer rechteckigen Schutzwand umgeben, die in etwa gleicher Größe wie der Sakralbau nach Westen einen himmeloffenen Innenhof bildet Die Schutzwand ist als Kreuzgang entlang von doppelwandigen Fenstern gestaltet. Der Glas- und Stahlbau hat strikt orthogonalen Strukturen. Es gibt weder diagonale, noch gebogene Linien. Die Architekten des Büros Gerkan, Marg und Partner vermieden jeglichen Anklang an Formen der Bewegung oder der Natur. Ihre aus dem Quadrat entwickelte Formgebung betont das Stillestehen, das Gleichmaß, den Ruhepunkt. Dieser Strenge antwortet die Künstlerin Hella De Santarossa mit der Darstellung des "Marienmantels" in einem Quadrat aus vier doppelwandigen Glasfenstern auf der Südseite des Pavillons in Sichtweite des Eingangs. Jede Linie dieses Bildes weicht innerhalb des quadratischen Rahmens von der gegebenen Struktur der Architekten ab und konterkariert die über zweihundert Schaufenster entlang des Kreuzgangs mit ausgewählten Gegenständen aus dem Alltag. Eine Scheibe in changierendem Blau liegt quer in den vier Glaskästen und beschreibt eine dynamisch schwebende Aufwärtsbewegung inmitten von prismatischem Bruchglas und auf Folien kopierten Mariendarstellungen. In die blaue Scheibe sind in zwölf Sprachen Textstellen aus dem Lukas-Evangelium eingeritzt - in Altgriechisch, Arabisch, Deutsch, Englisch, Französisch, Hebräisch, Italienisch, Japanisch, Lateinisch, Portugiesisch, Russisch, Spanisch. Der Fensterrahmen schließt am Boden bündig ab und faßt das Bildgeviert übermannshoch. Die Künstlerin hat dem Fenster symbolische Bedeutungen mitgegeben. Sie sagt, sie habe vier Bildquadrate gewählt, um auf Himmelsrichtungen, Jahreszeiten und Elemente zu verweisen. Sie habe Bruchglas verwendet, um auf die schnellen Schnitte der Videoclips anzuspielen, die heute die Sehgewohnheiten vieler prägen. Die Rolle der Bilder und ihre Bedeutung für die Kirche wird in symbolischen Handlungen manifestiert. In diesem Falle ist das Bild nicht im Sakralraum, sondern Teil des Kreuzgangs, der mit einer Serie von Bildkästen zu Technik (Zahnräder), Medizin (Spritzen) und Natur (Salz) von einem Designbüro ausgestattet ist. Es sind Bilder zum Anschauen, weder zu Verehrung, noch zur Anbetung. Sie dienen in keiner Weise einer Glaubensausübung und versinnbildlichen nicht religiöse, sondern weltliche Geschichte. Demgegenüber kommt Hella De Santarossas "Marienmantel" besondere Bedeutung zu, da sie ein Bildmotiv aufnimmt, ohne das die Bildkultur der katholischen Kirche nicht denkbar ist. MARIA IN DER GESCHICHTE. Eine Legende aus dem 6. nachchristlichen Jahrhundert erzählt, die Heiligen Drei Könige seien mit einem Maler im Gefolge zur Krippe des Neugeborenen geritten. Der Maler hieß Lukas und habe Maria portraitiert. Sie habe sich in einen weiten blauen Schleier gehüllt, der das Kind schützend umgab. Dieses Lukasbild wird sich in späteren Jahrhunderten wundersam vermehren. Es ist der Ursprung der Marienbilder. Eine andere Legende erzählt, der Evangelist Lukas, dessen Bericht der Kindheit und Jugend von Jesus den breitesten Raum gewährt und im Gegensatz zu den Evangelisten Markus, Matthäus und Johannes die Gottesmutter Maria zwei Mal mit Jesus sprechen läßt, habe sie noch zu Lebzeiten gemalt. Belegbar sind nur die Legenden, nicht die Tatsachen. Doch sagen die Legenden deutlich, daß die Marienbilder und alle weiteren, die nach ihrem Vorbild gemalt wurden, nicht nur in höchstem Maße wertvoll und daher schutzbedürftig, sondern auch schutzspendend sind, haben sie doch direkte oder indirekte Berühung mit dem Leben der Portraitierten gehabt. Kein Wunder, daß manche Bilder Wunder wirkten. Gläubige trauten ihnen übernatürliche Kräfte zu und hielten es jederzeit für möglich, die Bilder könnten auf demütiges Bitten eine Veränderung von Situationen herbeiführen und das Leben der Betenden begünstigen. Die Bilder setzen Naturgesetze außer Kraft: auf Bildern wird Maria plötzlich weinend gesehen, auf manchen bricht sie unvermittelt in Schweiß aus, auf manchen bildet sich Blut und tropft zu Boden. Blickten manche Kranke sie an, fühlten sie sich geheilt. All diese Legenden wollen beweisen, daß das Bild aktiv und lebendig ist, daß es nicht ein bloßer Gegenstand, sondern ein mit dem Leid der Welt mitfühlendes Wesen ist. Daher hatten diese Bilder sowohl einen retrospektiven Charakter, denn sie erinnerten an vergangenes Geschehen, als auch einen prospektiven Charakter, denn sie versprachen Wohltaten und Glück. Damit waren sie ihrem Wesen nach zweierlei: ein aktives Gegenüber, mit dem man sprechen und das man bitten kkonnte (reale Gegenwart) und ein Zeugnis wirklichen Geschehens aus der Geschichte (reale Vergangenheit). Die paradoxale Verfasstheit der Zeit überbrückt ein Gläubiger durch den Glauben. Außerhalb der Religion ist dieses Zeit- und Realitätsbewußtsein unfasslich. Die Legenden und die wundertätige Wirkung der Bilder scheinen sich erst nach der Konzilsentscheidung von Ephesos im Jahre 431 ganz Bahn zu brechen. Offenbar suchten die Gläubigen eine plausible Herleitung der Bilder, um die Authentizität glaubhaft bezeugen zu können. Sie sollten echt und im selben Licht gemalten worden sein, in dem auch die Portraitierte stand. Die Legenden über die historische Herleitung und die Wundertaten bekräftigten den Glauben, daß die Geschichten, die über die Marienbildnisse erzählt werden, keine Fiktion sind. Vor der Konzilsentscheidung 431 durften Marienbilder zwar verehrt, nicht aber angebetet werden. Doch der Kult, der sich um Maria bildete, gewann im südlichen Europa in der Bevölkerung und bei einer Vielzahl von Herrschern eine solche Macht, daß in Rom die Kirche Santa Maria Maggiore bereits gebaut war, als das Konzil Maria in den Heiligenkanon aufnahm. Nun konnte Maria neben ihren besonderen Eigenschaften auch mit Aspekten, die zuvor heidnischen Muttergottheiten (Isis, Demeter, Terra) zu gesprochen wurden, angebetet werden. Eine Flut von Lukasbilder entsprang der Kanonisierung und bezeugte Marias Aussehen zu Lebzeiten, ihre schutzgebietende Macht, ihre Vollkommenheit, das Mysterium der unbefleckten Empfängnis, ihre enge Verbindung zu Gott und dem Heiligen Geist. So wurde sie zur ersten Fürsprecherin bei Gott. DER MARIENMANTEL. Nachdem Kaiserin Eudokia im frühen 5. Jahrhundert nach einem betrüblichen Hofleben abgedankt hatte, reiste sie nach Jerusalem und lebte dort als fromme Frau und Reliquienjägerin. Die Legende sagt, sie habe das Leichentuch Marias gefunden, das in dem Grab nach ihrer Himmelfahrt, zurückgeblieben sei. Auch schickte Eudokia ihrer Schwägerin, Kaiserin Pulcheria, ein Marienbild von Lukas nach Konstantinopel, der Hauptstadt des byzantinischnischen Reiches. Eine andere Legende erzählt, Kaiserin Pulcheria habe den Patriarchen von Jerusalem gebeten, ihr den Leichnahm von Maria zu schicken; dieser habe ihr mit dem Hinweis, Marias Leichnahm sei nie aufgefunden worden, das Leichentuch geschickt. Kaiserin Pulcheria verwahrte es im Kloster von Blachernae neben dem Kaiserpalast in Konstantinopel. Das Kloster rühmte sich nicht nur des Marienportraits von Lukas und des hinzugekommen Grabgewandes von Maria, sondern seit dem späten 5. Jahrhundert auch des Maphorion, des langen blauen Schleiers der syrischen Frauen, den Maria getragen hatte und der ihr bleibendes Zeichen bis heute blieb. Es gibt nur wenige Abbildungen Marias, auf denen sie keinen Schleier trägt. Diesen Schleier zitiert die Künstlerin Hella De Santarossa - schwebend, leicht, inmitten von Splittern und Trümmern aus funkelnd lichtbündelndem Glas. Es ist eine Abstraktion, die sich an die Überlieferung hält. Die Legenden und Auswirkungen dieser Tradition können von den Besuchern der Kirche übersehen werden. Dann bleibt noch immer die Dynamik der Farben und die prismatische Kraft der Lichtbündel in den Scherben. Beide Wirkungen lassen sich physikalisch ebenso erklären wie die Herstellung des Fensters durch eine Glasfabrik anhand des Entwurfs der Künstlerin. Da Hella De Santarossa mit dem Motiv des Mantels den Schutz betont, den die Figur der Maria versinnbildlichte und der im Mantel für alle Kulturen verständlich ist, deutet sie auf einen der wundesten Stellen der offiziellen Kirche. Papst Johannes Paul II. drückte letztes Jahr als erster Papst überhaupt sein Bedauern darüber aus, daß die Kirche ihren Schutz - sei es bei Juden-Pogromen, sei es bei Flüchtlingen - nicht in dem Maße gewährte, wie sie es hätte tun sollen. Dort, wo kirchliches Territorium begann, hörte einst die weltliche Macht und ihr Zugriff auf. Der Verlust an Macht seit der Aufklärung weitete sich bis ins eigene Haus. Plötzlich konnten staatliche Funktionäre in Klöster und Kirchen eindringen und nach Belieben Nonnen, Mönche, Priester, Gelehrte und Schutzsuchende verschleppen, ohne deutliche Proteste und Gegenmaßnahmen der offiziellen Kirche gegen die jeweilige staatliche Macht. Marias schützender Mantel wurde ein zweifelhafter Schleier. Mit dem Auftrag dieses Marienbildes für den "Marktplatz der Welt", bekräftigt die Kirche nach dem historischen Bedauern des Papstes ihre Schutzfunktion. Es ist ein Bekenntnis der Kirche und eine Erneuerung der Künstlerin im alten Sinn. Allerdings gelten besondere Bedingungen. Bilder in Kirchen müssen unter der Voraussetzung gesehen werden, daß sie den Gläubigen dienen. Sie sind weniger Ausstellungsstück als Glaubenshilfe. Ob ein Marienbildnis von Tizian stammt oder von einem unbekannten Meister, ist für einen Gläubigen zweitrangig. Wichtig ist, daß das Bild da ist. Zwar wird keine Kirche Ungläubigen den Zugang verwehren, solange sie sich manierlich benehmen. Doch alles in einer Kirche richtet sich an die gläubige Gemeinde. Eine Kirche ist kein Museum. Davon kann man im Christus-Pavillon auf dem Ausstellungsgelände nicht ausgehen. Die Kirche und ihr Auftrag im dritten Jahrtausend ihrer Zeitrechnung wird hier Ausstellungsgegenstand. Gleichzeitig ist der Pavillon Handlungsraum für Gläubige. Diese Wahrnehmungsbedingungen hat die Künstlerin in ihrem erneuerten Marienbild in Betracht gezogen. MARIA IM LICHT. Was bleibt: Die Künstlerin erinnert mit einfachen Mitteln von hoher Strahlkraft an das lange Band der Tradition. Sie macht eine deutliche Anspielung, die vom Besucher der Christus-Kirche aber nicht mehr verlangt, als er zu geben bereit ist. Er muß sich weder der legendären Kraft des Marienmantels in der Kirchengeschichte inne werden, noch sich Marias immense bildmotivierende Kraft in der Kunstgeschichte vergegenwärtigen. Er sieht die schwebende blaue Scheibe in den unwägbaren Wirkungen des Lichts. Der Sonneneinfall verändert sich über den Tag hinweg und wirft ein Strahlenfeld durch die Trümmer in den Kreuzgang. Verzerrt erscheinen projezierte Lichtfolien alter Mariendarstellungen mal am Boden, mal auf dem Körper von Vorübergehenden. Es ist eine dynamische Lichtprojektion umgeben von Gegenständen aus Natur, Technik und Gesellschaft, die außerhalb ihres Funktionszusammenhangs in den anderen Fenster aufgehoben sind. Das Kirchenfenster als Strahlenfeld aus Lichtscherben kann angesichts der an Paradoxien und Wundern reichen Geschichte nicht eindeutig sein. Das Werk inszeniert ganz im Sinne des Themas Widersprüchliches. Es entspricht einem Motiv, das in dem Gedicht des fahrenden Sängers Rutebeuf deutlich wird. Das Gedicht stammt aus dem 13. Jahrhundert, einer Zeit, als in den großen Kathedralen die Kirchenfenster in nie zuvor gesehener Pracht erstrahlten. Rutebeuf ruft Maria an und löst durch einen einfachen Vergleich eine rätselhafte Vorstellung, ohne sie aufzulösen. "So wie die Sonne durch die Fensterscheibe dringt und sich wieder zurückzieht, ohne sie zu zerstören, so bliebst du Jungfrau, als Gott im Himmel dich zu seiner Mutter und Frau machte." Bringt man das Fenster in Verbindung mit dem Gedicht, macht es einen der mysteriösen Aspekte Marias sinnfällig, den die offizielle Kirche nicht aufgehört hat, zu beunruhigen. Noch das II. Vatikanische Konzil 1964 ist dem Streit der katholischen Orthodoxie über die tatsächliche Jungfräulichkeit Marias aus dem Wege gegangen, indem es das Mysterium des intakten Hymens nicht zum Glaubensartikel erhob. Doch setzt man das Fenster in keine Verbindung, sondern schaut auf das, was bildformativ gegeben ist, sieht man die blaue Scheibe wie einen Saphir, der den Himmel blau färbt und in dem "Maria" vielsprachig wie eine Anrufung aus allen Teilen der Welt erscheint. Hella De Santarossas "Marienmantel" könnte wie andere Bilder in Kirchen zu einem Kultbild werden, wenn die Kirchenleitung einen Handlungszusammenhang dafür schaffte. Das steht jenseits ihrer Absichten. Absehbar ist, daß der Handlungszusammenhang, in dem die Bilder eine Rolle spielen, auch auf dem Territorium der Kirche von Führungen für Ausstellungsbesucher beherrscht wird, die als weltläufige Pilger der entzauberten Moderne weniger Einkehr als Informationen suchen. Doch die Legende der Maria wird auch auf entsakralisiertem Terrain weitergeschrieben. Die Popsängerin Madonna, zu deren bekanntesten Titeln "Like a Virgin" zählt, wird ihren nächsten Sohn, so hat sie im Frühling 2000 bekannt gegeben, Jesus nennen. Literatur: Ausführliche Informationen zum Marienmantel finden sich bei Wilfried Willker, Habenhausen Hans Belting: Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst. München 1993 Mariana Warner: Maria. Geburt, Triumph, Niedergang - Rückkehr eines Mythos?; München 1982 |